„Werterhaltung muss attraktiver werden als Wegwerfen“

Was macht eine echte Kreislaufwirtschaft so herausfordernd – technisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich? Kai Sundmacher, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme, und Dietmar Harhoff, Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, sprechen im Doppelinterview über nötige Anreize, langlebige Produkte und die Macht kleiner Entscheidungen

23. Juni 2025

Was macht eine echte Kreislaufwirtschaft so herausfordernd – technisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich? Kai Sundmacher, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme, und Dietmar Harhoff, Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, sprechen im Doppelinterview über nötige Anreize, langlebige Produkte und die Macht kleiner Entscheidungen.

Herr Sundmacher, Herr Harhoff, woran forschen Sie – und wie kamen Sie zur Kreislaufwirtschaft?

Kai Sundmacher: Mich faszinieren neue technische Prozesse und deren physikalisch-chemische Grundlagen, die man weiter durchdringen muss, um eine effiziente Kreislaufwirtschaft zu realisieren. Heute erforschen wir in meiner Abteilung, wie sich Kohlenstoffkreisläufe schließen lassen – etwa durch chemisches Recycling von Kunststoffabfällen oder die Nutzung biogener Reststoffe. Wir wollen mit unserer Forschung insbesondere dazu beizutragen, dass die chemische Industrie zu einem nachhaltigen Produktionssystem transformiert wird.

Dietmar Harhoff: Ich interessiere mich seit langer Zeit für Innovationsprozesse: Wie kommen neue Ideen zustande, wie kommen sie in die Anwendung? Welche Anreize unterstützen diese Prozesse? Für die Kreislaufwirtschaft ist das zentral – denn wir brauchen nicht nur neue Technologien, sondern auch Geschäftsmodelle, die funktionieren. Ein Ziel dabei ist, dass Kolleginnen und Kollegen wie Herr Sundmacher optimale Arbeitsbedingungen haben, um technische Neuerungen und Innovationen zu entwickeln.

Kreislaufwirtschaft ist ein viel verwendeter Begriff. Was bedeutet er aus Ihrer Sicht?

Sundmacher: Im Kern geht es darum, Ressourcen zu schonen, Produkte langlebiger zu machen und stoffliche Kreisläufe zu schließen – statt Abfälle, die wieder Rohstoffe sein können, zu verbrennen oder zu deponieren. Wir sprechen hier von den sogenannten R-Strategien (Anmerkung der Redaktion: siehe Grafik). Das erfordert neue Konzepte entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produktes.

Harhoff: Und passende Anreize. Solange es billiger ist, neu gewonnene Rohstoffe zu verwenden als alte zu recyceln, wird sich wenig ändern. Wie lassen sich ausreichend Mittel bereitstellen, um technische Innovationen zu fördern, die ja die Grundlage dieser Kreisläufe bilden? Und wie bewegen wir Wirtschaftsakteure dazu, die Lebensdauer von Produkten zu verlängern? Kurz: Wie lässt sich unser System so umbauen, dass Werterhaltung attraktiver wird als Wegwerfen. Das ist sehr komplex.

Was genau macht es denn so schwierig?

Harhoff: Die Hürden sind vielfältig. Zum einen ist es schwierig, Konsumentinnen und Konsumenten zu verstehen, zum anderen ist unser Wirtschaftssystem nicht auf geschlossene Kreisläufe ausgelegt – und ein ziemlich beharrliches Gebilde. Neue Anreize zu schaffen, Verhaltensweisen zu ändern, Produzenten von einer stark konsumgetriebenen Nutzung von Rohstoffen abzubringen – all das ist eine große Herausforderung.

Sundmacher: Im Moment ist es so, dass lange Produktlebensdauer vom Markt kaum belohnt wird. Stattdessen gilt: Wer sich möglichst schnell ein neues Handy kauft, wenn die nächste Generation erscheint, liegt im Trend. Das erzeugt immer mehr Elektronikschrott. Unser System ist fast schon selbstbeschleunigend darauf ausgelegt, diesen Abfallstrom zu vergrößern. Wir sind aber nun an Grenzen gestoßen – das spüren wir überall. So können wir nicht weitermachen.

Wie setzen Sie genau da mit Ihrer Forschung an, Herr Sundmacher?

Sundmacher: Wir arbeiten daran, fossile Kohlenstoffquellen komplett zu ersetzen durch sogenannten grünen, sprich erneuerbaren, Kohlenstoff – etwa durch Kunststoffabfälle, durch biogene Reststoffe aus der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion oder durch die Verwendung von CO₂. Letzteres ist allerdings energieaufwendig. Deshalb brauchen wir neue Verfahren, die bei der Verwertung grüner Kohlenstoffquellen möglichst wenig erneuerbare Energie verbrauchen. Ideal wäre es, wenn wir kohlenstoffhaltige Substanzen aus bestehenden Produkten direkt zurückgewinnen könnten, ohne sie chemisch allzu sehr umzubauen – zum Beispiel  Polyamidfasern aus Textilien wieder für Polyamid-haltige Produkte zu verwenden, ohne den Umweg über die Verbrennung und das Abfangen des dabei entstehenden CO2. Das ist recht komplex, aber grundsätzlich machbar.

Und wirtschaftlich – wie kommen solche Ideen in die Praxis?

Harhoff: Die Forschung der MPG kann in vielfältiger Weise in die Anwendung gebracht werden, etwa durch Lizenzierung an große Unternehmen oder in jüngster Zeit vermehrt durch Start-ups, die dann unterschiedliche Technologien erproben. Das ist riskant, nur etwa 20 Prozent dieser Gründungsversuche sind erfolgreich, aber ohne solche Experimente geht es nicht. Auch in der Max-Planck-Gesellschaft unterstützen wir Startups – etwa mit dem Programm MAX!mize. Es richtet sich an Forschende, die aus einer wissenschaftlichen Idee ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickeln möchten.

Und wie sieht es in Deutschland mit den passenden Rahmenbedingungen aus?

Harhoff: Wir sehen durchaus Fortschritte, etwa durch die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie. Viele Ansätze kommen inzwischen auch von der Europäischen Kommission, so eine Richtlinie zur Förderung von Reparaturen bei Elektronikgütern. Aber viele Faktoren fehlen noch – etwa eine konsequentere CO₂-Bepreisung oder stärkere Innovationsförderung in Richtung Kreislaufwirtschaft. Übergänge sind schmerzhaft. Gerade wirtschaftlich schwächere Akteure fürchten, nicht mithalten zu können. Aber wir müssen die Transformation gestalten, und das bedeutet auch: Finanzierungsinstrumente für den Übergang bereitstellen. Unsere Aufgabe in der Forschung ist es, wissenschaftlich fundiert Vorschläge für Instrumente in Regulierung und Förderung zu machen und mit den Akteuren zu diskutieren.

Stichwort: Anpassungsschmerz. Haben Sie Ihre Gewohnheiten verändert?

Sundmacher: Ich habe eine Photovoltaikanlage auf unserem Haus installiert – für mich ein logischer Schritt, um erneuerbare Energien im Alltag zu nutzen. Auch beim Thema Ernährung habe ich umgedacht, nicht zuletzt durch meine Töchter, die vegetarisch bzw. vegan leben. Der Klimaschutzeffekt einer pflanzenbasierten Ernährung ist enorm – das zeigen viele Studien. Und Kreislaufwirtschaft funktioniert nur, wenn auch unsere Lebensweise sparsamer wird: Weniger Energieeinsatz, weniger Ressourcenverbrauch. Nur alles „grün“ zu machen, reicht nicht – wir müssen auch insgesamt weniger konsumieren.

Harhoff: Bei uns zu Hause haben wir auch eine Solaranlage nachgerüstet. Gleichzeitig bringt mich das direkt in einen inneren Zielkonflikt: Ich fahre einen alten W 124 – 35 Jahre alt, ein Verbrenner mit Sechszylindermotor. Bald wird da ein Elektroauto kommen müssen. Und solche Zielkonflikte gibt es auch im Forschungsalltag. Wie lange nutze ich einen Laptop, bevor ich ihn ersetze? Meiner war sieben Jahre alt und die Tastatur ist gerade auseinandergebrochen. Natürlich kann das nicht beispielhaft sein: Kolleginnen und Kollegen, die auf hohe Rechenleistungen angewiesen sind, benötigen oft die jüngste Rechnergeneration. Aber wir sollten diese Fragen trotzdem stellen – auch im Institutsalltag. Denn viele dieser Entscheidungen, so klein sie erscheinen, haben Auswirkungen. Verhaltensänderung ist eine der größten Herausforderungen – und sie betrifft uns alle, beruflich wie privat.

Was erwarten Sie vom Podium bei der Festversammlung der MPG am 25. Juni in Magdeburg?

Harhoff: Ich hoffe auf eine ehrliche Diskussion – besonders über die Frage der Verhaltensänderung. Da wird es schnell unbequem, aber wir können sie nicht vermeiden. Ich teile die Einschätzung von Herrn Sundmacher: Unsere Lebensweise muss sich ändern. Wie können wir in dieser Frage einen gesellschaftlichen Konsens finden? Wir wollen Ernährungsentscheidungen nicht per Ordnungsrecht steuern. Wenn jemand heutzutage täglich Fleisch essen will, ist das eine persönliche Entscheidung. Aber wer gesellschaftliche Kosten verursacht, sollte diese auch mittragen.

Sundmacher: Ich freue mich auf den Austausch – auch weil wir unterschiedliche Perspektiven mitbringen, die sich gut ergänzen. Herr Harhoff schaut auf die ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, ich eher auf die technischen Prozesse. Gerade in der Max-Planck-Gesellschaft haben wir die Chance, solche Sichtweisen zusammenzubringen. Die Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft lassen sich nur gemeinsam bewältigen – technisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Ich sehe großes Potenzial für eine sektionsübergreifende Zusammenarbeit. Die MPG bietet dafür sehr gute Rahmenbedingungen. Und vielleicht ist dieses Podium ja ein Auftakt, um neue Ideen im Verbund weiterzudenken.

Das Interview führte Petra Maaß.

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