Computer-basierte Trennprozesse für eine bio-basierte Produktion von Chemikalien

Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme

Autoren
König-Mattern, Laura; Rihko-Struckmann, Liisa; Sundmacher, Kai
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme, Magdeburg
Zusammenfassung
Die Chemikalienproduktion basiert heute meist auf fossilen Rohstoffen und Energieträgern, deren Nutzung zu klimaschädlichen CO2-Emissionen führt. Daher ist der Umstieg auf erneuerbare Rohstoffe, insbesondere Biomasse, unumgänglich. Wir untersuchen auf Lösungsmitteln basierende Trennverfahren, die Biomasse für eine ressourceneffiziente Produktion von Chemikalien verfügbar machen. Um optimale Lösungsmittel für jeden Trennschritt zu identifizieren, entwickeln wir rechnergestützte Optimierungsmethoden für Lösungsmittelmoleküle, basierend auf Quantenchemie und Methoden des maschinellen Lernens.

Heute sind bei der Herstellung von Chemikalien rund 90 % der Rohstoffe fossilen Ursprungs [1]. Nicht nur die Endlichkeit der fossilen Ressourcen zwingt die chemische Industrie zur Defossilisierung - einer grundlegenden Transformation hin zu nachwachsenden Alternativen. Darüber hinaus hat die Nutzung fossiler Rohstoffe negative Auswirkungen auf das Klima.

Um wichtige Grund- und Feinchemikalien wie Alkohole, Aromaten und Carbonsäuren unabhängig von fossilen Rohstoffen herstellen zu können, müssen neue Produktionsprozesse auf Basis erneuerbarer Rohstoffe entwickelt werden. Biomasse stellt in diesem Zusammenhang eine nachwachsende Kohlenstoffquelle dar, die für die Chemieproduktion genutzt werden kann. Allerdings ist die dafür nutzbare Menge an Biomasse aufgrund konkurrierender Nutzungsinteressen begrenzt.

Bioraffinerien für eine ressourceneffiziente Biomassevalorisierung

Wir forschen an neuartigen Trennverfahren, die eine besonders ressourceneffiziente Nutzung von Biomasse erlauben. Im Sinne einer „Zero Waste“-Bioraffinerie zielen unsere Trennverfahren darauf ab, die Biomasse zunächst in ihre makromolekularen Bestandteile aufzutrennen. Im Fall von Holz sind das Zellulose, Hemizellulose und Lignin, bei Mikroalgen geht es bei der Trennung um Lipide, Kohlenhydrate, Pigmente und Proteine. Dieser Prozess wird Biomassefraktionierung genannt. In den darauffolgenden Prozessschritten können die einzelnen, getrennten Bestandteile in eine Bandbreite verschiedenster Chemikalien umgewandelt werden. Auf diesem Weg wird die Biomasse ressourceneffizient genutzt und die Menge der Restströme minimiert. Algenbiomasse kann durch Fraktionierungsprozesse für die Produktion von Nahrungsergänzungsmitteln, Farbstoffen und Schmierstoffen nutzbar gemacht werden und darüber hinaus wichtige Monomere für die Herstellung von Kunststoffen bereitstellen. Lignocellulose, wie zum Beispiel Restholz oder Stroh, kann nach einer gezielten Fraktionierung zu Lösungsmitteln, Füllstoffen, Bio-Plastik, Aromaten oder flüssigen Brennstoffen umgewandelt werden.

Aus prozesstechnischer Sicht besteht ein Fraktionierungsprozess aus einer Abfolge von Trennschritten, die einige Zielmoleküle aus der Biomasse extrahieren und das entstandene Gemisch weiter auftrennen. In den Trennschritten werden verschiedene organische Lösungsmittel eingesetzt. Die Wahl des Lösungsmittels ist von zentraler Bedeutung für jeden Prozessschritt, da es die Prozesseffizienz, -sicherheit und -kosten stark beeinflusst. Das gewählte Lösungsmittel sollte weder umweltschädlich noch krebserregend oder sonst in einer Form giftig sein. Aus ökologischen und ökonomischen Gründen muss ein Lösungsmittel nach der Separation möglichst vollständig zurückgewonnen werden. Der dafür benötigte Energiebedarf hängt maßgeblich vom Typ des Lösungsmittels ab.

Die Wahl eines Lösungsmittelmoleküls hat somit große Auswirkungen auf den gesamten Prozess. Es wird eingeschätzt, dass insgesamt zirka 1018 verschiedene organische Moleküle existieren. Doch wie kann man in einem derart großen Strukturraum für jeden Trennschritt das passende Lösungsmittel identifizieren?

Computer-basierte Methoden für Bioraffinerien der Zukunft

Zunächst haben wir die Lösungsmittelauswahl als mathematisches Optimierungsproblem formuliert, welches anschließend mit computerbasierten Methoden gelöst wird. Mittels Lösungsmittel-Screening durchsuchen wir eine Datenbank mit über 8000 bekannten Molekülen nach geeigneten Eigenschaften. Computerbasierte Modelle sagen die Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitseigenschaften anhand der Molekülstruktur voraus. Die Löslichkeiten der Zielfraktionen werden mit quantenchemischen Modellen abgeschätzt. Auf der Grundlage dieser Berechnungen können ungeeignete Lösungsmittel schrittweise aussortiert werden. Die anschließende experimentelle Arbeit kann so auf die vielversprechendsten Lösungsmittel konzentriert werden – das spart Zeit und Ressourcen.

Ein über das Screening deutlich hinausgehender Ansatz ist das molekulare Design gänzlich neuer Lösungsmittel. Hierbei werden die funktionellen Strukturgruppen eines Lösungsmittels so am Computer entworfen, dass gewünschten Lösungsmittel-Eigenschaften optimal erreicht werden. Ein genetischer Algorithmus startet mit einer nicht optimierten Startstruktur. Diese Struktur wird zufälligen Mutationen unterworfen, die sie nach und nach verändern. Angelehnt an das Survival of the fittest-Prinzip werden Moleküle bevorzugt, deren Strukturänderungen zu einer besseren Leistungsfähigkeit im Prozess führen. Ihre strukturellen Eigenschaften werden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an die nächste Generation weitergegeben, als es bei Molekülen mit einer schlechteren Performance der Fall ist. Die Leistungsfähigkeit der Moleküle wird dabei mit Methoden des maschinellen Lernens berechnet und die Struktur der Lösungsmittel schrittweise an gewünschte Zieleigenschaften angepasst.

Mit Hilfe der von uns entwickelten Methoden konnten wir neuartige Lösungsmittel für die Fraktionierung von Algenbiomasse identifizieren [2, 3]. Das Besondere an diesem Ansatz ist, dass die Zielkomponenten direkt aus feuchter Algenbiomasse extrahiert werden können und somit eine energieintensive Trocknung entfällt. Die Extraktion kann mit einfachen Geräten bei niedrigen Temperaturen unter atmosphärischem Druck durchgeführt werden.

Die beschriebene Methode des Lösungsmitteldesigns kann auch auf Lignocellulose übertragen werden. Wir konnten maßgeschneiderte Lösungsmittel für die Fraktionierung verschiedener Holzrohstoffe generieren und so Alternativen zu dem etablierten, jedoch krebserregenden Lösungsmittel Dioxan entdecken. Darüber hinaus konnten wir maßgeschneiderte Lösungsmittel identifizieren, mit denen eine hohe, bisher unbekannte Löslichkeit von Lignin erreicht werden kann [4]. Somit tragen die von uns entwickelten Algorithmen zur Entwicklung von innovativen Trennverfahren für eine biobasierte Chemieproduktion bei.

Literaturhinweise

Bazzanella, A.; Ausfelder, F
Technology Study: Low carbon energy and feedstock for the European chemical industry
DECHEMA, ISBN 978-3-89746-196-2
König-Mattern, L.; Linke, S.; Rihko-Struckmann,L.; Sundmacher, K
Computer-aided solvent screening for the fractionation of wet microalgae biomass
Green Chemistry 23, 10014 (2021)
DOI: 10.1039/D1GC03471
König-Mattern, L.; Rihko-Struckmann,L.; Sundmacher, K
Systematic solvent selection enables the fractionation of wet microalgal biomass
Separation and Purification Technology 354(8), 129462 (2025)
DOI: 10.1016/j.seppur.2024.12946
König-Mattern, L.; I. Sanchez Medina, E.; O. Komarova, A.; Linke, S.; Rihko-Struckmann, L.; Luterbacher, J. S.; Sundmacher, K.
Machine learning-supported solvent design for lignin-first biorefineries and lignin upgrading
Chemical Engineering Journal 495, 153524 (2024)
DOI: 10.1016/j.cej.2024.15352
Go to Editor View